Die Menschheit steht an der Schwelle einer neuen Ära der Weltraumforschung, mit ehrgeizigen Plänen für die Rückkehr zum Mond und die ersten Schritte auf dem Mars. Während Ingenieure und Wissenschaftler leistungsstarke Raketen und fortschrittliche Lebenserhaltungssysteme entwickeln, bleibt eine der größten und heimtückischsten Herausforderungen für das bloße Auge unsichtbar – die Weltraumstrahlung. Außerhalb des schützenden Magnetfelds der Erde sind Astronauten einem ständigen Bombardement hochenergetischer Teilchen ausgesetzt, die eine ernsthafte Bedrohung für ihre Gesundheit darstellen. Im Orbit um unseren Planeten, an einem Ort wie der Internationalen Raumstation (ISS), sind die Besatzungen noch teilweise geschützt. Doch eine Reise in den tiefen Weltraum, zum Mond oder zum Roten Planeten, setzt sie der vollen Kraft der kosmischen Strahlung aus, was die Entwicklung eines wirksamen Schutzes zu einer absoluten Priorität macht. Genau auf der ISS, in der einzigartigen Umgebung der Mikrogravitation, wurde ein entscheidender Test einer innovativen Lösung durchgeführt, die für die Zukunft der bemannten Raumfahrt von entscheidender Bedeutung sein könnte – die Schutzweste AstroRad.
Diese Weste, die in Zusammenarbeit des amerikanischen Luft- und Raumfahrtgiganten Lockheed Martin und des israelischen Unternehmens StemRad entwickelt wurde, stellt einen revolutionären Ansatz für den persönlichen Strahlenschutz dar. Anstelle von sperrigen und unpraktischen Schilden, die das gesamte Raumfahrzeug umfassen würden, bietet AstroRad einen gezielten Schutz, der sich auf die empfindlichsten Organe und Gewebe im menschlichen Körper konzentriert und gleichzeitig die Mobilität und Funktionalität der Astronauten erhält. Die Tests auf der ISS zielten nicht nur darauf ab, die Fähigkeit zur Strahlenabschirmung zu überprüfen, sondern auch die Ergonomie – ein Schlüsselfaktor für das tägliche Leben und Arbeiten im Weltraum.
Der unsichtbare Feind im tiefen Weltraum
Die Weltraumstrahlung stammt aus zwei Hauptquellen: galaktischen kosmischen Strahlen (GCR) und solaren energetischen Teilchen (SEP), die bei Sonneneruptionen freigesetzt werden. GCR sind Überreste alter Supernovae, schwere, hochenergetische Atomkerne, die ihrer Elektronen beraubt wurden und mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch die Galaxie reisen. Aufgrund ihrer enormen Energie wirken diese Teilchen wie mikroskopisch kleine Kanonenkugeln, die die Hülle eines Raumfahrzeugs und menschliches Gewebe durchdringen und erhebliche Schäden auf zellulärer und molekularer Ebene verursachen. Eine langfristige Exposition gegenüber GCR erhöht das Krebsrisiko erheblich, kann Schäden am zentralen Nervensystem verursachen und zu degenerativen Erkrankungen des Herzens und anderer Organe führen.
Solare Ereignisse sind hingegen unvorhersehbar und können in sehr kurzer Zeit enorme Mengen an Strahlung freisetzen. Obwohl sie weniger durchdringend sind als GCR, können sie eine akute Strahlenkrankheit verursachen, einen Zustand mit Symptomen, die von Übelkeit und Müdigkeit bis hin zu schweren Schäden am Knochenmark und inneren Organen reichen, was ohne angemessenen Schutz tödlich sein kann. Das Magnetfeld und die Atmosphäre der Erde wirken als natürlicher Schild, der uns vor den meisten dieser Bedrohungen schützt, aber im tiefen Weltraum gibt es einen solchen Schutz nicht. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, Wege zu finden, um diese Risiken zu mindern und Langzeitmissionen zu ermöglichen, wie eine Reise zum Mars, die bis zu drei Jahre dauern könnte.
AstroRad: Gezielter Schutz für lebenswichtige Organe
Das Konzept hinter der AstroRad-Weste basiert auf dem Prinzip des selektiven Schutzes. Analysen haben gezeigt, dass bestimmte Organe wie Knochenmark, Lunge, Magen, Dickdarm und weibliche Fortpflanzungsorgane eine deutlich höhere Empfindlichkeit gegenüber Strahlung aufweisen. Anstatt den gesamten Körper mit schweren Materialien zu umhüllen, was die Bewegung drastisch einschränken würde, ist AstroRad so konzipiert, dass es genau diese kritischen Bereiche schützt. Die Weste besteht aus Schichten von Materialien mit hohem Wasserstoffanteil, wie Polyethylen, die sich als äußerst wirksam erwiesen haben, um die schweren Ionen der galaktischen kosmischen Strahlen zu stoppen und in weniger schädliche Teilchen zu fragmentieren. Ihr modulares und ergonomisches Design ermöglicht die Anpassung an verschiedene Körperbauten von Astronauten und stellt sicher, dass das Tragen der Weste die Ausführung alltäglicher Aufgaben nicht behindert.
Die Partnerschaft zwischen der Firma StemRad, die über Expertise im Strahlenschutz verfügt, die für die Bedürfnisse von Rettungsdiensten auf der Erde entwickelt wurde, und Lockheed Martin, mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Raumfahrttechnologie, war entscheidend für die Anpassung dieser Technologie an die extremen Bedingungen des Weltraums. Durch die gemeinsame Arbeit wurde ein Produkt geschaffen, das nicht nur Schutz bietet, sondern auch in der Schwerelosigkeit praktisch einsetzbar ist, was eines der Hauptziele der Tests auf der Internationalen Raumstation war.
Tests unter realen Bedingungen auf der ISS
Die Internationale Raumstation diente als perfektes Labor zur Validierung der AstroRad-Weste. Obwohl bodengestützte Tests viele Aspekte simulieren konnten, war es nur in der realen Weltraumumgebung möglich zu beurteilen, wie sich die Weste bei den Routineaktivitäten der Astronauten verhält. Die NASA-Astronautin Kayla Barron war eines der Besatzungsmitglieder, das die Aufgabe hatte, die Weste zu tragen und detailliertes Feedback zu geben. Während des mehrwöchigen Tests trugen die Astronauten AstroRad, während sie an Geräten trainierten, wissenschaftliche Experimente durchführten und die routinemäßige Wartung der Station vornahmen.
Ihr Feedback war von unschätzbarem Wert. Wissenschaftler und Ingenieure auf der Erde erhielten entscheidende Daten über den Komfort der Weste, ihre Passform, die Einfachheit des An- und Ausziehens und den Einfluss auf den Bewegungsumfang. Jedes Detail, vom Design der Schnallen bis zur Anordnung der Schutzpaneele, wurde sorgfältig analysiert, um sicherzustellen, dass die Weste so unauffällig wie möglich ist. Die erfolgreiche Demonstration der Funktionalität in der Mikrogravitation war ein entscheidender Schritt, der Übergang von einem Prototyp zu einer einsatzbereiten Technologie für zukünftige Missionen im tiefen Weltraum. Das ISS National Lab Programm spielte eine Schlüsselrolle, indem es Unternehmen wie StemRad den Zugang zu dieser einzigartigen Plattform für Forschung und Entwicklung ermöglichte.
Der Beweis auf dem Weg zum Mond
Die Tests auf der ISS waren nur der Anfang. Der wahre Test für die Fähigkeit der AstroRad-Weste, die tatsächliche Strahlung des tiefen Weltraums zu blockieren, fand während der Mission Artemis I statt, einem unbemannten Testflug des Orion-Raumschiffs um den Mond. Im Inneren der Kapsel befanden sich zwei anatomische Phantome namens Helga und Zohar, die mit Tausenden von Strahlungssensoren ausgestattet waren. Diese Phantome, die aufgrund ihrer höheren Strahlenempfindlichkeit der weiblichen Physiologie nachempfunden sind, standen im Mittelpunkt des MARE-Experiments (Matroshka AstroRad Radiation Experiment). Der entscheidende Unterschied bestand darin, dass Zohar die AstroRad-Schutzweste trug, während Helga ungeschützt war.
Während der 25-tägigen Reise um den Mond und zurück sammelten die Sensoren eine riesige Datenmenge und lieferten den Wissenschaftlern die bisher detaillierteste Karte der Strahlungsumgebung auf der Flugbahn zum Mond. Der Vergleich der Daten von Helga und Zohar ermöglichte eine präzise Quantifizierung der Wirksamkeit der Weste. Die Ergebnisse bestätigten, dass AstroRad die Strahlendosis, die lebenswichtige Organe erhalten, erheblich reduziert. Dieses Experiment war ein monumentaler Schritt nach vorn und lieferte konkrete Beweise dafür, dass ein gezielter, tragbarer Schutz ein tragfähiges und wirksames Konzept für zukünftige Astronauten ist, die im Rahmen des Artemis-Programms und schließlich zum Mars reisen werden.
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