Die Wintermonate werfen jedes Jahr aufs Neue dieselbe Frage auf: Warum „reißen“ Fahrbahnen und Gehwege in kälteren Perioden so schnell auf, sodass bereits nach wenigen Zyklen von Eis und Auftauen Schlaglöcher und Unebenheiten im Asphalt entstehen? Das Problem ist nicht nur ästhetischer Natur. Risse und Schäden erhöhen das Unfallrisiko für Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger, beschleunigen den Verfall des Untergrunds und bescheren Städten hohe Rechnungen für Sanierungen, die sich oft von Saison zu Saison wiederholen.
Genau an dieser Schnittstelle von Sicherheit, Langlebigkeit und Instandhaltungskosten taucht eine neue Idee auf, die, zumindest laut Laborergebnissen, die Art und Weise verändern könnte, wie sich Asphalt „verhält“, wenn die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Elham Fini hat ein Bindemittel für Asphalt entwickelt, das aus Algenöl gewonnen wird. In Tests bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt zeigten Proben mit Algen weniger Rissbildung im Vergleich zu konventionellen Bindemitteln auf Erdölbasis.
Winterphysik des Asphalts: Wo der Schaden entsteht
Die meisten Straßenoberflächen basieren auf demselben Prinzip: Eine Mischung aus Gesteinskörnung und Sand wird dank Bitumen „zusammengehalten“ – einer dicken, klebrigen Substanz, die durch die Verarbeitung von Rohöl gewonnen wird. Bitumen hat im Asphalt eine doppelte Rolle. Einerseits verbindet es die Gesteinspartikel und sorgt für Festigkeit, andererseits ermöglicht es eine gewisse Elastizität, also die Fähigkeit der Fahrbahn, sich bei Temperaturänderungen auszudehnen und zusammenzuziehen.
Das Problem entsteht, wenn die Temperatur sehr schnell tief unter den Gefrierpunkt fällt. Unter solchen Bedingungen kann das bituminöse Bindemittel spröder werden und einen Teil seiner Flexibilität verlieren, was die Wahrscheinlichkeit von Mikrorissen unter Verkehrslast oder unter dem Einfluss von wiederholtem Frieren und Auftauen erhöht. Sobald Risse entstehen, dringt Wasser leichter in die Fahrbahnkonstruktion ein. Das Wasser, das anschließend gefriert, dehnt sich aus und zerstört das Material zusätzlich, sodass sich Schäden mit der Zeit in Löcher und Aufwölbungen verwandeln – typische winterliche „Bruchstellen“ auf Verkehrswegen.
Bindemittel aus Algen: eine „gummiartigere“ und nachhaltigere Alternative
In einer in der Zeitschrift ACS Sustainable Chemistry & Engineering veröffentlichten Arbeit stellen Forscher ein sogenanntes Biobindemittel (Biobinder) vor, das aus Algenöl hergestellt wird und als nachhaltigere und elastischere Alternative zu einem Teil des klassischen Bitumenbindemittels gedacht ist. Laut Erklärung des Teams könnten die aus Algen gewonnenen Verbindungen die Beständigkeit von Asphalt gegen Feuchtigkeit verbessern, die Flexibilität erhöhen und ein Verhalten fördern, das der Selbstheilung ähnelt. In der Praxis könnte dies eine längere Lebensdauer der Fahrbahn und weniger Bedarf an teuren und häufigen Reparaturen bedeuten.
Dieser Ansatz stützt sich auf frühere Ergebnisse derselben Forschungsrichtung: Aus Algen extrahiertes Öl kann zu einem Produkt verarbeitet werden, das sich „bitumenähnlich“ verhält, aber in bestimmten Temperaturregimen widerstandsfähiger und funktionaler ist. In der neueren Arbeit konzentrierten sich die Forscher auf eine konkrete Frage: Welche Algenarten liefern Öle mit den günstigsten Eigenschaften für Asphalt, insbesondere wenn es um niedrige Temperaturen und schnelles Abkühlen geht.
Computermodelle und die Wahl zwischen vier Algenarten
Um die Auswahl einzugrenzen, wandte das Team Computermodelle zur Bewertung von Öl aus vier Algenarten an. Ziel war es, Öle zu identifizieren, die zu einem Bindemittel verarbeitet werden können, das mit dem festen Teil der Asphaltmischung kompatibel ist, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Funktionalität unter Gefrierbedingungen. Als vielversprechendster Kandidat kristallisierte sich das Öl der Süßwasser-Grünalge Haematococcus pluvialis heraus.
In Simulationen und Bewertungen zeigte das Öl dieser Art eine bessere Beständigkeit gegen dauerhafte Verformungen unter Belastung, ähnlich dem, was auf Straßen unter dem Einfluss von Verkehr geschieht, sowie eine höhere Beständigkeit gegen Schäden, die durch das Vorhandensein von Feuchtigkeit entstehen. Für den Straßenbau ist das kein nebensächlicher Punkt: Wasser und Feuchtigkeit, insbesondere in Kombination mit niedrigen Temperaturen, beschleunigen oft die Degradation von Asphalt. Wenn das Bindemittel Feuchtigkeit besser verträgt und ein elastischeres Verhalten beibehält, kann die Fahrbahn länger in einem Zustand bleiben, der für den Verkehr sicherer und für die Instandhaltung günstiger ist.
Labortests: Verkehrsbelastung und Gefrierzyklen
Nach den computergestützten Bewertungen überprüften die Forscher die Formulierungen in Labordemonstrationen, die eine Kombination aus Verkehrsbelastung und Gefrierzyklen nachahmten. In diesen Tests zeigten Asphaltproben mit Bindemittel auf Basis von H. pluvialis laut Angaben der Autoren eine bis zu 70 % bessere Erholung von Verformung (deformation recovery) im Vergleich zu Proben mit herkömmlichem Bindemittel, das aus Rohöl gewonnen wurde.
In Alltagssprache übersetzt deutet ein solches Ergebnis darauf hin, dass das Material nach Belastung besser „zurückfedern“ könnte, beziehungsweise leichter dauerhafte Absackungen und Schäden vermeiden könnte, die mit der Zeit zu Rissen werden. Gerade das Verhalten bei niedrigen Temperaturen ist entscheidend für Klimazonen, in denen der Winter plötzliche Temperaturstürze und mehrere aufeinanderfolgende Episoden von Frieren und Auftauen mit sich bringt.
Klimaeffekt: kleiner Austausch, großer Prozentsatz in der Schätzung
Die Arbeit befasst sich auch mit dem potenziellen Klimaeffekt des Austauschs eines Teils des Ölbindemittels durch Biobindemittel. Die Forscher schätzen, dass der Ersatz von 1 % des konventionellen Ölbindemittels durch ein Bindemittel auf Algenbasis die mit Asphalt verbundenen Netto-Kohlenstoffemissionen um 4,5 % senken könnte. In einem Szenario, in dem der Anteil des Biobindemittels etwa 22 % erreichen würde, könnte Asphalt – nach ihrer Schätzung – potenziell kohlenstoffneutral werden.
Es ist wichtig hervorzuheben, dass dies Schätzungen sind, die von den Annahmen der Berechnung der Nettoemissionen und der Art und Weise abhängen, wie Kohlenstoff über den Lebenszyklus des Materials berechnet wird. Die Zahlen weisen jedoch klar auf die Logik der Forschung hin: Selbst ein teilweiser Ersatz von Material, das aus fossilen Quellen stammt, durch eine Alternative auf Biomassebasis kann einen messbaren Effekt haben, insbesondere wenn die Technologie in großen Infrastrukturprojekten angewendet würde, wo der Gesamtverbrauch an Bindemittel beträchtlich ist.
Was die Technologie für Straßen und Gehwege bedeuten könnte
Obwohl es sich um Laborergebnisse handelt, ist das Ziel der Innovation praktisch: die Lebensdauer von Asphalt unter Bedingungen zu verlängern, wo Frost und Feuchtigkeit den Abbau beschleunigen. In Städten mit ausgeprägten Wintern treten Schäden oft nicht allmählich auf, sondern in Wellen – nach plötzlichen Kälteeinbrüchen und wiederholten Eiszyklen. Jede Verringerung von Rissen und dauerhaften Verformungen könnte weniger Noteinsätze, weniger provisorische Flicken und einen stabileren Instandhaltungsstandard bedeuten.
Ein solcher Fortschritt hätte auch eine Sicherheitsdimension. Ein Schlagloch ist nicht nur eine Unannehmlichkeit, die das Fahrzeug erschüttert; es kann Schäden an Reifen und Aufhängung, Kontrollverlust sowie Stürze von Radfahrern oder Fußgängern verursachen. Wenn sich das Bindemittel unter kritischen Temperaturbedingungen als widerstandsfähiger erweist, ist es vernünftig, auch ein geringeres Risiko im Zusammenhang mit dem plötzlichen Verfall der Oberfläche zu erwarten – vorausgesetzt, die Ergebnisse bestätigen sich außerhalb des Labors und in verschiedenen Arten von Asphaltmischungen.
Von der wissenschaftlichen Arbeit zur Baustelle: was noch bewiesen werden muss
Damit die Innovation den Weg von der wissenschaftlichen Arbeit zur Standardpraxis beschreitet, ist es üblich, dass sie eine Reihe zusätzlicher Prüfungen bestehen muss: Verhalten in großen Chargen und verschiedenen Rezepturen von Asphaltmischungen, langfristige Exposition gegenüber UV-Strahlung und Oxidation, Beständigkeit gegen chemische Einflüsse (beispielsweise Salze) sowie Kompatibilität mit bestehenden industriellen Prozessen des Mischens und Einbaus von Asphalt.
Hier gibt es auch den wirtschaftlichen Aspekt. Die Forscher beschreiben den Ansatz als potenziellen Weg zu einer hocheffizienten, kostengünstigen und nachhaltigen Infrastruktur. Das tatsächliche Kosten-Nutzen-Verhältnis hängt jedoch stark von den Kosten für Rohstoffe, Verarbeitung und Logistik sowie vom Lebenszyklus der Fahrbahn ab. In der Praxis ist „günstiger“ oft nicht nur der Materialpreis, sondern die Gesamtkosten der Instandhaltung über die Jahre. Wenn bewiesen würde, dass Biobindemittel den Bedarf an Reparaturen verringert, ließen sich die anfänglichen Kosten leichter rechtfertigen.
Wer hinter der Forschung steht und wie sie der Öffentlichkeit präsentiert wurde
Die Arbeit über das Biobindemittel auf Algenbasis wurde am 17. November 2025 in der Zeitschrift ACS Sustainable Chemistry & Engineering veröffentlicht, und eine breitere Zusammenfassung der Ergebnisse wurde am 15. Dezember 2025 in einer Pressemitteilung der American Chemical Society (ACS) öffentlich vorgestellt. Die Mitteilung hebt den Fokus auf die Verbesserung der Haltbarkeit von Straßen- und Gehwegoberflächen unter kälteren Bedingungen hervor, bei gleichzeitiger Suche nach nachhaltigeren Materiallösungen für die Infrastruktur.
Im selben Kontext wird auch erwähnt, dass die Autoren der Forschung dem US-Energieministerium (U.S. Department of Energy) für die Finanzierung dankten, was ein häufiger Rahmen für Projekte ist, die Materialinnovationen, Energiewende und Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks verbinden.
ACS und die Rolle wissenschaftlicher Zeitschriften bei der Überprüfung von Behauptungen
Die American Chemical Society (ACS) agiert als gemeinnützige Organisation, die 1876 gegründet und vom US-Kongress autorisiert wurde. Die Rolle der ACS bei solchen Themen ist nicht die Durchführung der Forschung selbst, sondern die Veröffentlichung und Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse durch begutachtete Zeitschriften und Kommunikationskanäle wie PressPacs-Mitteilungen. Für die Öffentlichkeit ist es dabei wichtig, den Unterschied zu verstehen: Die Pressemitteilung ist der Einstiegspunkt, während sich die entscheidenden Details, Methodik und Daten in der wissenschaftlichen Arbeit selbst befinden.
Vorerst läuft die Botschaft, die die Autoren hervorheben, auf zwei Punkte hinaus: Ein aus Algenöl gewonnenes Biobindemittel zeigt das Potenzial, dass Asphalt unter Bedingungen unter Null widerstandsfähiger gegen Rissbildung und dauerhafte Verformungen wird, und dabei öffnet sich Raum für die Reduzierung der Netto-Kohlenstoffemissionen, wenn ein Teil des Ölbindemittels langfristig durch Material auf Biomassebasis ersetzt würde.
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Erstellungszeitpunkt: 3 Stunden zuvor