In der Welt der Robotik, in der die Grenzen des Möglichen ständig verschoben werden, suchen Wissenschaftler und Ingenieure unentwegt nach Wegen, Maschinen so ähnlich wie möglich zu lebenden Organismen zu machen. Einer der neuesten und aufregendsten Durchbrüche in diese Richtung kommt von der Northwestern University, wo innovative, weiche künstliche Muskeln entwickelt wurden. Diese revolutionäre Technologie öffnet die Tür zu einer neuen Generation von Robotern – solchen, die zu flüssigeren Bewegungen, einer besseren Interaktion mit der Umgebung und, was am wichtigsten ist, zu einem autonomen Betrieb ohne ständige externe Stromversorgung fähig sein werden.
Diese neuen Aktuatoren, wie sie fachmännisch genannt werden, stellen einen entscheidenden Schritt zur Schaffung von robotischen muskuloskelettalen Systemen dar, die die Komplexität und Effizienz des menschlichen Körpers nachahmen. Ihre Leistung und mechanischen Eigenschaften versprechen, die Art und Weise zu verändern, wie Roboter gehen, laufen, mit Menschen interagieren und sich in der dynamischen Welt um sie herum bewegen. Stellen Sie sich Roboter vor, die sich mit der Anmut und Kraft eines Athleten bewegen, fähig, Stöße zu absorbieren, aber auch genügend Kraft zu erzeugen, um anspruchsvolle Aufgaben zu erfüllen.
Inspiration aus der Natur: Der Weg zu flexibleren Robotern
Lange Zeit waren Roboter ein Synonym für starre, mechanische Strukturen, die für präzise, aber oft begrenzte Bewegungen in kontrollierten Umgebungen konzipiert waren. Obwohl solche Roboter in Industrieanlagen äußerst effizient sind, stellt ihre Starrheit in der unvorhersehbaren und komplexen realen Welt einen erheblichen Nachteil dar. Der menschliche Körper mit seinen Knochen, Muskeln und Sehnen bietet ein perfektes Beispiel für ein System, das gleichzeitig stark, flexibel und anpassungsfähig ist. Genau diese Bioinspiration leitete das Ingenieurteam der Northwestern University.
Dr. Ryan Truby, leitender Autor der Studie und Professor für Materialwissenschaft und Maschinenbau an der McCormick School of Engineering, betont die Bedeutung dieses Ansatzes. Sein Ziel ist es, Roboterkörper zu schaffen, die flexibel, anpassungsfähig und in der Lage sind, mit der Unsicherheit der physischen Welt umzugehen. Dies umfasst nicht nur praktische künstliche Muskeln, sondern auch Komponenten, die Knochen, Sehnen und Bänder nachahmen. Durch einen solchen Ansatz werden Roboter nicht nur widerstandsfähiger und anpassungsfähiger, sondern können auch die Mechanik weicherer Materialien nutzen, um energieeffizienter zu werden.
Taekyoung Kim, ein Postdoktorand in Trubys Labor und Erstautor der Studie, betont, dass es äußerst schwierig ist, Roboter ohne physische Nachgiebigkeit zu schaffen, die reibungslos auf äußere Veränderungen reagieren und sicher mit Menschen interagieren können. Für zukünftige Roboter, die sich natürlicher und sicherer in unstrukturierten Umgebungen bewegen sollen, ist es entscheidend, sie nach dem Vorbild des menschlichen Körpers zu entwerfen – mit harten Skeletten und weichen, muskelähnlichen Aktuatoren.
Herausforderungen bei der Nachbildung von Muskeln überwinden
Bisherige Versuche, weiche Aktuatoren mit muskelähnlichen mechanischen Eigenschaften zu entwickeln, stießen oft auf erhebliche Hindernisse. Viele erforderten sperrige und schwere Ausrüstung zur Stromversorgung, und selbst dann waren sie weder langlebig genug noch konnten sie genügend Kraft erzeugen, um reale Aufgaben zu erfüllen. Dr. Truby erklärt, dass es äußerst schwierig ist, weiche Materialien so zu konstruieren, dass sie wie Muskeln funktionieren. Selbst wenn man ein Material dazu bringen kann, sich wie ein künstlicher Muskel zu bewegen, gibt es zahlreiche andere Herausforderungen, wie die Übertragung ausreichender Kraft mit entsprechender Leistung. Die Verbindung solcher Muskeln mit starren, knochenähnlichen Elementen stellt zusätzliche Probleme dar.
Das Team überwand diese Herausforderungen, indem es sich auf einen zuvor in Trubys Labor entwickelten Aktuator stützte. Das Herzstück dieses Aktuators ist eine 3D-gedruckte zylindrische Struktur namens „handed shearing auxetic“ (HSA). Die HSA besitzt eine komplexe Struktur, die einzigartige Bewegungen und Eigenschaften ermöglicht, wie zum Beispiel die Verlängerung und Ausdehnung bei Verdrehung. Die für die Bewegung der HSA erforderliche Drehbewegung kann von einem kleinen, integrierten Elektromotor erzeugt werden. Kim entwickelte eine Methode zum 3D-Druck von HSA-Strukturen aus einem gängigen, kostengünstigen Gummi, ähnlich dem, der oft zur Herstellung von Handyhüllen verwendet wird.
Innovatives Design künstlicher Muskeln
Im neuen Design umhüllte das Team die HSA-Struktur mit einer gummiartigen Origami-Balgstruktur. Diese innovative Kombination ermöglicht es einem rotierenden Motor, die Ausdehnung und Kontraktion der zusammengebauten Aktuatoren anzutreiben. Das Ergebnis sind künstliche Muskeln, die mit beeindruckender Kraft schieben und ziehen können. Besonders faszinierend ist die Fähigkeit des Muskels, sich bei Aktivierung dynamisch zu versteifen – genau wie ein menschlicher Muskel. Diese Eigenschaft ist entscheidend für die Stabilität und Bewegungskontrolle.
Jeder dieser künstlichen Muskeln wiegt etwa so viel wie ein Fußball und ist etwas größer als eine Getränkedose. Er kann sich auf 30 % seiner Länge dehnen, zusammenziehen und Objekte heben, die 17-mal so schwer sind wie er selbst. Am wichtigsten für ihre Anwendung in Roboterkörpern ist vielleicht die Tatsache, dass die Muskeln mit Batterien betrieben werden können, wodurch die Notwendigkeit schwerer, externer Ausrüstung entfällt. Diese Autonomie ebnet den Weg für wirklich unabhängige Roboter, die nicht an Stromquellen gebunden sind.
Ein humanoides Bein, das „tritt“ und „fühlt“
Um das wahre Potenzial dieser Muskeln zu demonstrieren, nutzten Truby, Kim und ihr Team den 3D-Druck, um ein lebensgroßes Roboterbein zu erstellen. Die „Knochen“ des Beins wurden aus starrem Kunststoff gefertigt, während die sehneninspirierten Verbindungsstücke aus Gummi hergestellt wurden. Elastische Sehnen verbinden die Quadrizeps- und Oberschenkelmuskulatur mit dem Schienbeinknochen und den Wadenmuskel mit der Fußstruktur. Diese Sehnen und Muskeln helfen, Bewegungen zu dämpfen und Stöße zu absorbieren, ähnlich wie ein biologisches muskuloskelettales System. Diese Integration von weichen und starren Komponenten ermöglicht flüssigere und natürlichere Bewegungen und verringert das Risiko von Schäden am Roboter oder seiner Umgebung.
Zusätzlich integrierte das Team einen flexiblen, 3D-gedruckten Sensor, der es dem Bein ermöglicht, seinen eigenen Muskel zu „fühlen“. Entworfen wie ein Sandwich, wird eine leitfähige Schicht aus flexiblem Kunststoff zwischen zwei nichtleitenden Schichten eingeklemmt. Wenn sich der künstliche Muskel bewegt, bewegt sich auch der Sensor. Während er sich dehnt, ändert sich sein elektrischer Widerstand, was es dem Roboter ermöglicht, zu spüren, wie sehr sich sein Muskel verlängert oder zusammenzieht. Diese Fähigkeit zur Propriozeption – das Gefühl für die eigene Position und Bewegung – ist entscheidend für die Feinsteuerung und Anpassung bei komplexen Aufgaben. Sie ermöglicht es dem Roboter, Bewegungen präziser auszuführen, das Gleichgewicht zu halten und auf unerwartete Hindernisse zu reagieren.
Das resultierende Bein ist kompakt und batteriebetrieben. Eine einzige Ladung einer tragbaren Batterie lieferte genug Energie, damit das Bein das Knie innerhalb einer Stunde tausende Male beugen konnte. Ähnliche Fähigkeiten mit anderen weichen Aktuatortechnologien zu erreichen, wäre äußerst schwierig, wenn nicht sogar unpraktisch. Diese Energieeffizienz und Autonomie machen diese künstlichen Muskeln für eine breite Palette von Anwendungen äußerst vielversprechend.
Breiterer Kontext und zukünftige Anwendungen
Die Entwicklung dieser „knöchernen Muskeln“ stellt einen bedeutenden Fortschritt im Bereich der Soft-Robotik dar, einem Zweig der Robotik, der sich auf die Herstellung von Robotern aus von Natur aus flexiblen und anpassungsfähigen Materialien konzentriert. Im Gegensatz zu herkömmlichen Robotern können Soft-Roboter sicher neben Menschen arbeiten, empfindliche Objekte handhaben und sich durch komplexe, unstrukturierte Umgebungen bewegen. Die potenziellen Anwendungen sind riesig und vielfältig.
In der Medizin könnten diese Muskeln die Prothetik revolutionieren und Gliedmaßen schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch empfindlich und für den Benutzer natürlicher sind. Sie könnten bei der Entwicklung von Exoskeletten zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen oder zur Rehabilitation eingesetzt werden. In der Industrie könnten mit diesen Muskeln ausgestattete Roboter Aufgaben übernehmen, die eine sanfte Handhabung erfordern, wie das Verpacken empfindlicher Produkte oder die Arbeit in engen Räumen. Ihre Fähigkeit, Stöße zu absorbieren, macht sie ideal für den Einsatz in dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen, wodurch das Risiko von Geräteschäden oder Verletzungen verringert wird.
Außerdem eröffnen diese Muskeln neue Möglichkeiten für die Suche und Rettung. Roboter mit solchen Muskeln könnten sich mit größerer Agilität und Widerstandsfähigkeit durch Trümmer, enge Passagen oder gefährliches Gelände bewegen. Im Bereich der Weltraumforschung könnten flexible Roboter ideal für die Handhabung von Proben auf anderen Planeten oder für Reparaturen im Weltraum sein, wo Präzision und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind. Dr. Truby blickt mit Begeisterung darauf, wie diese künstlichen Muskeln neue Richtungen für humanoide und tierähnliche Roboter anstoßen können und den Weg für Maschinen ebnen, die nicht nur intelligent, sondern auch physisch in der Lage sind, mit der Welt auf eine Weise zu interagieren, die bisher nur Lebewesen vorbehalten war.
Die Forschung wurde in der renommierten Fachzeitschrift Advanced Materials veröffentlicht, was ihre wissenschaftliche Bedeutung und Innovationskraft bestätigt. Neben Ryan Truby und Taekyoung Kim waren an der Studie auch Eliot Dunn, ein High-School-Forschungspraktikant im Robotic Matter Lab, und Melinda Chen, eine Teilnehmerin des Programms Research Experience for Undergraduates am Northwestern University Materials Research Science and Engineering Center, beteiligt. Die Arbeit wurde vom Office of Naval Research sowie von Leslie und Mac McQuown über das Center for Engineering Sustainability and Resilience der Northwestern University unterstützt. Diese Zusammenarbeit von Forschern auf verschiedenen Ebenen und die Unterstützung wichtiger Institutionen unterstreichen den multidisziplinären Ansatz und die Bedeutung dieser Entdeckung für die Zukunft der Robotik.
Quelle: Northwestern University
Erstellungszeitpunkt: 8 Stunden zuvor