An den Steinfassaden der alten Gebäude in Vodnjan verflechten sich Jahrhunderte der Geschichte, doch eine Schicht der Vergangenheit bleibt für jeden Passanten besonders eindrucksvoll und sichtbar. Es handelt sich um ein einzigartiges Phänomen – Graffiti, die während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Diese Inschriften, in roter Farbe und italienischer Sprache verfasst, stellen eines der am besten erhaltenen und zahlreichsten Beispiele solcher historischen Spuren in ganz Istrien dar. Anstatt dass die Geschichte ausschließlich in der Stille der Archive und der Sterilität von Museumsvitrinen verweilt, lebt sie in Vodnjan an baufälligen Fassaden, in stillen Gassen und auf Plätzen und bietet einen authentischen und ungefilterten Einblick in die turbulente Zeit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese antifaschistischen, pro-jugoslawischen und kommunistischen Parolen, obwohl vom Zahn der Zeit verblasst, hallen auch heute noch stark wider und verwandeln die Straßen der Stadt in inoffizielle Denkmäler für die Ideale, den Widerstand und die Stimmen einer vergangenen Epoche.
Mauern, die sich erinnern: Ein Freiluftarchiv
Die Graffiti von Vodnjan entstanden nicht spontan; ihr Auftreten lässt sich in mindestens drei entscheidenden Phasen nachvollziehen, die die dramatischen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegeln. Die ersten Inschriften tauchen während des Krieges selbst auf, als Akt des Widerstands und des Trotzes gegen die Besatzer. Sie wurden hauptsächlich von jungen Aktivisten und Aktivistinnen, Mitgliedern der Widerstandsbewegung, geschrieben, die im Schutze der Nacht Botschaften der Hoffnung und des Kampfes anbrachten. Parolen wie „Viva Tito“, „W Tito“ oder Symbole des roten Sterns sowie von Hammer und Sichel übermittelten die Botschaften der Partisanenbewegung und der antifaschistischen Front. Die zweite Welle entstand im Moment der Befreiung, um den Sieg über den Faschismus zu feiern, während die dritte und zugleich intensivste Phase in der unmittelbaren Nachkriegszeit, zwischen 1945 und 1946, folgte. In dieser Zeit dominierten neben den bereits erwähnten auch Botschaften, die klare politische Forderungen zum Ausdruck brachten, wie „Hoćemo Jugoslaviju“ (Wir wollen Jugoslawien), was die komplexe Nachkriegssituation und den Kampf um den Anschluss Istriens an das Mutterland widerspiegelt. Heute bilden diese erhaltenen Graffiti einen einzigartigen Korpus von Texten und Symbolen im öffentlichen Raum und schaffen eine spezifische Erinnerungslandschaft, die von den ideologischen Umwälzungen jener Zeit zeugt. Sie befinden sich überall – an prominenten Fassaden alter Häuser in den Hauptstraßen, auf Plätzen, in versteckten Gewölben und an den Rändern der Stadt, was bestätigt, wie umfassend und systematisch diese Praxis war.
Ein Spaziergang durch Geschichte, Erinnerung und Antifaschismus
Um dieses unschätzbare und oft vernachlässigte Erbe vor dem Vergessen zu bewahren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, organisiert der Tourismusverband der Stadt Vodnjan in Zusammenarbeit mit dem renommierten Kulturologen Dr. sc. Eric Ušić einzigartige geführte Spaziergänge. Dr. Ušić, der genau über das Thema der politischen Graffiti aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit in Istrien promoviert hat, bietet den Teilnehmern durch seine jahrelange Forschung und seine Leidenschaft für die lokale Geschichte einen tiefen Einblick in den Entstehungskontext dieser Inschriften. Diese Führungen sind nicht nur bloße Besichtigungen; sie sind eine interaktive Reise in die Vergangenheit. Bei einem Spaziergang durch die Straßen von Vodnjan entdecken, lesen und interpretieren die Teilnehmer gemeinsam mit dem Führer die Graffiti vor Ort. Jede Inschrift wird zum Ausgangspunkt für eine breitere Geschichte über die politische, kulturelle und soziale Geschichte von Vodnjan und Istrien. Die Tour beleuchtet Schlüsselereignisse des antifaschistischen Kampfes, aber auch die komplexe Situation nach dem Krieg und erklärt die historischen Umstände, die zur Niederschrift solcher Botschaften führten. Die Erforschung dieser Spuren geht über die Geschichte der Graffiti selbst hinaus – der Spaziergang wird zu einer Begegnung mit einer einzigartigen Erinnerungslandschaft, in der Mauern, Straßen und Räume zu lebendigen Denkmälern und Erinnerungen an die Ideale, Kämpfe und authentischen Stimmen der Vergangenheit werden. Neben den Graffiti wird auch anderen Elementen der Erinnerung im Stadtraum Aufmerksamkeit geschenkt, wie etwa Gedenktafeln, die an wichtige Ereignisse und Persönlichkeiten erinnern, wie die in der Straße des 16. Januar, die an die ersten Opfer des Faschismus in Istrien erinnert, die bereits 1920 ums Leben kamen.
Sonderführung in englischer Sprache
Aufgrund des außerordentlichen Interesses, das diese geführten Spaziergänge regelmäßig beim heimischen Publikum hervorrufen, hat der Tourismusverband der Stadt Vodnjan beschlossen, die reiche Geschichte auch ausländischen Besuchern zu präsentieren. Daher findet am Mittwoch, den 13. August 2025, der erste derartige thematische Spaziergang vollständig in englischer Sprache statt. Dies ist eine ausgezeichnete Gelegenheit für Touristen und all jene, die kein Kroatisch sprechen, diesen wichtigen Teil der lokalen und regionalen Geschichte auf einzigartige Weise kennenzulernen. Die Führung ist so konzipiert, dass sie auch denjenigen, die zum ersten Mal mit der Geschichte Istriens in Berührung kommen, einen klaren und umfassenden Überblick über die Ereignisse gibt, die diese Region geprägt haben. Der Beginn des geführten Spaziergangs ist für 10 Uhr morgens angesetzt, und der Treffpunkt für alle interessierten Teilnehmer ist vor dem Informationsbüro des Tourismusverbandes am Narodni trg (Volksplatz) in Vodnjan. In etwa eineinhalb Stunden, so lange dauert die Tour, werden die Teilnehmer die wichtigsten Orte besuchen und entdecken, warum Vodnjan als „Freiluftgalerie“ bezeichnet wird und wie seine Mauern auch heute noch eine achtzig Jahre alte Geschichte erzählen.
UNTERKUNFT IN DER NÄHE
Vodnjan
Vodnjan, Kroatien
Erstellungszeitpunkt: 10 Stunden zuvor