Die Landung einer Raumsonde auf dem Mond mit außergewöhnlicher Präzision, die sich ausschließlich auf bodengestützte Verfolgungssysteme verlässt, ist ein komplexer, teurer und logistisch anspruchsvoller Prozess. Moderne Raumfahrtmissionen hängen stark von der Telemetrie von der Erde ab, die entscheidende anfängliche Positionsschätzungen liefert, was die Möglichkeiten zukünftiger Missionen erheblich einschränkt und die Betriebskosten erhöht. Ein kürzlich durchgeführtes Doktorandenprojekt, das vom ESA-Discovery-Programm, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Firma OHB kofinanziert wurde, hat eine innovative Lösung entwickelt, die es Raumfahrzeugen ermöglichen könnte, ihren Weg im tiefen Weltraum völlig selbstständig zu finden.
Willem Oliveiras Forschung mit dem Titel „Globales autonomes Navigationssystem für planetare Annäherung und Landung“ befasst sich mit einer grundlegenden Herausforderung der Raumfahrt: Wie kann eine präzise Navigation ohne ständige Unterstützung vom Heimatplaneten erreicht werden. Die Motivation für einen solchen Durchbruch geht über reine Kosteneinsparungen hinaus; die autonome Navigation öffnet die Tür zu völlig neuen Missionstypen, wie der Erforschung von Himmelskörpern durch Schwärme kleiner, koordinierter Sonden, die als ein einziger Organismus agieren.
Abhängigkeit von der Erde: Die aktuelle Achillesferse der Raumfahrtmissionen
Die aktuelle Generation von Raumfahrzeugen für die Präzisionslandung stützt sich auf fortschrittliche Systeme, die als geländerelative absolute Navigation (Terrain-relative Absolute Navigation - TAN) bekannt sind. Diese optischen Navigationssysteme funktionieren, indem sie Bilder, die von Kameras an Bord des Raumfahrzeugs aufgenommen wurden, mit vorhandenen, detaillierten Oberflächenkarten vergleichen, die in seinem Computer gespeichert sind. Auf diese Weise können sie ihren Standort mit außerordentlicher Genauigkeit bestimmen, was eine Voraussetzung für die Landung an einem vorbestimmten Punkt mit minimaler Abweichung ist. Dieses gesamte hochentwickelte System hat jedoch eine entscheidende Schwäche: Es ist von den von der Erde gesendeten Anfangsdaten abhängig.
Willem Oliveira, der Autor der Studie, erklärt den Kern des Problems: „TAN-Systeme benötigen eine anfängliche Zustandsschätzung, d. h. eine grobe Information darüber, wo sich das Raumfahrzeug befindet, und diese Daten können derzeit nur über Telemetrie von der Erde gewonnen werden. Genau diese Verbindung wollen wir beseitigen.“
Der bestehende Prozess funktioniert als geschlossener Regelkreis, der auf der Erde beginnt. Die Missionskontrolle sendet dem Raumfahrzeug anfängliche Positionsschätzungen, die es ihm ermöglichen, aus seiner riesigen Datenbank die entsprechenden lokalen Geländekarten auszuwählen. Erst dann kann das TAN-System seine Arbeit aufnehmen und diese Karten und Bilder von den Bordkameras verwenden, um wesentlich genauere Schätzungen seiner Position und Geschwindigkeit zu erhalten. Obwohl dieser Datenverfeinerungskreislauf autonom arbeitet, kann er ohne eine Initialisierung von der Erde nicht einmal beginnen, was einen Engpass im Betrieb darstellt.
Eine innovative Lösung, die auf die Oberfläche und die Sterne blickt
Der im Rahmen dieses Projekts entwickelte Ansatz verwendet ausschließlich optische Navigationsmethoden, die nur relativ kostengünstige visuelle Kameras für Messungen relativ zur Oberfläche eines Himmelskörpers erfordern. Das System kombiniert auf geniale Weise die Analyse des sogenannten optischen Flusses mit Messungen, die von einem Sternensensor (Star Tracker - STR) während zweier vollständiger Umkreisungen um einen Planeten oder Mond gewonnen werden.
Optischer Fluss ist ein Begriff, der beschreibt, wie sich Helligkeitsmuster, d.h. erkennbare Merkmale auf der Oberfläche wie Krater oder Felsen, zwischen aufeinanderfolgenden Bildern, die während der Bewegung des Raumfahrzeugs aufgenommen werden, scheinbar verschieben. Aus diesen Verschiebungsmustern kann das System wichtige Informationen über seine eigene Bewegungsrichtung ableiten. Diese Daten werden dann mit präzisen Messungen der Ausrichtung des Raumfahrzeugs im Weltraum, die vom Sternensensor stammen, zusammengeführt, um grundlegende Orbitalparameter zu schätzen. Sternensensoren sind im Wesentlichen kleine Kameras, die den Sternenhimmel fotografieren und ihn mit einer Sternenkarte vergleichen, um die Ausrichtung des Raumfahrzeugs mit unglaublicher Präzision zu bestimmen.
„Wir verwenden die Bilder, die wir von der Oberfläche aufnehmen, um die allgemeine Form der Umlaufbahn zu bestimmen“, erklärt Oliveira. „Dies gibt uns ausreichend genaue Anfangsinformationen, um ein viel komplexeres und präziseres TAN-System zu initialisieren, ohne dass ein Signal von der Erde erforderlich ist.“
Tests und vielversprechende Ergebnisse
Der neue Ansatz wurde mit CNav getestet, einem auf Kratererkennung basierenden Navigationssystem, das je nach Genauigkeit der anfänglichen Zustandsschätzung in verschiedenen Modi arbeiten kann. Die Ergebnisse zeigten, dass die Elevation der Kamera, d. h. der Winkel, in dem die Kamera auf die Oberfläche blickt, die Erfolgsrate erheblich beeinflusst. Bei Elevationen zwischen 0 und 30 Grad wurde eine erfolgreiche Initialisierung des CNav-Systems in etwa 90 % der simulierten Fälle erreicht. Bei einer Elevation von 60 Grad sank die Erfolgsrate jedoch auf etwa 60 %. Der entscheidende Faktor, wie sich herausstellte, ist die durchschnittliche Geländefläche, die auf den Bildern sichtbar ist, die für die Analyse des optischen Flusses verwendet werden. Je größer die sichtbare Fläche, desto zuverlässiger ist das System.
Obwohl dieses Projekt nun formell abgeschlossen ist, wird die Forschung mit dem Ziel fortgesetzt, ein operatives System zu schaffen, das in Zukunft auf einem echten Raumfahrzeug getestet werden könnte. Der Übergang von Computersimulationen zu weltraumtauglicher Hardware ist der nächste große Schritt.
Ein Blick in die Zukunft der autonomen Weltraumerkundung
„Die Motivation für diese Arbeit liegt in der derzeitigen Notwendigkeit, Algorithmen für die absolute Navigation mit einer von der Erde erhaltenen Zustandsschätzung zu initialisieren“, sagt Massimo Casasco, Leiter der Abteilung für Führung, Navigation und Steuerung (GNC) bei der ESA. „Was wir zu erreichen hoffen, ist eine wesentlich größere Autonomie auf dem Raumfahrzeug selbst, was einen doppelten Vorteil bringt – nicht nur eine Einsparung von Betriebskosten, sondern auch eine robustere und fehlertolerantere Gestaltung dieser Operationen.“
Vollständige Autonomie bedeutet, dass Missionen schneller auf unvorhergesehene Umstände reagieren können, ohne auf Anweisungen von der Erde warten zu müssen, deren Übertragung Minuten oder sogar Stunden dauern kann. Dies ist entscheidend für die Sicherheit und den Erfolg zukünftiger, komplexerer Missionen.
„Wir sehen dieses Ergebnis als einen wichtigen Baustein für die weitere Erhöhung der Autonomie von Raumfahrzeugen – insbesondere für kleine Plattformen wie CubeSats, die eines Tages selbstständig um den Mond navigieren könnten“, sagte Dr. Stephan Theil, Oliveiras Betreuer am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme. „Ich hoffe aufrichtig, dass wir diese Technologie in naher Zukunft, vielleicht sogar sehr bald, in realen Missionen implementieren können.“
Das Projekt entstand über die Open Space Innovation Platform der ESA und wurde durch das Discovery-Element der ESA-Grundaktivitäten finanziert. Es stellt einen entscheidenden Schritt in Richtung der autonomen Betriebsfähigkeiten dar, die für die zukünftige Erforschung des Mondes und anderer Planeten unerlässlich sein werden, und ebnet den Weg für Missionen, die heute nur noch im Bereich der Science-Fiction liegen.
Erstellungszeitpunkt: 3 Stunden zuvor